Das Thema zu dieser Karte wurde durch ein Interview in der Zeitschrift Ursache & Wirkung inspiriert, in dem die Autorin Andrea Löhndorf über ihr neues Buch Kintsugi erzählt.
Kintsugi ist ein traditionelles japanisches Kunsthandwerk aus dem 15 Jahrhundert, bei dem zerbrochene Gegenstände (meist Keramik) mithilfe von Goldpuder in Kunstwerke verwandelt werden, die nach Fertigstellung noch kostbarer sind als in ihrem ursprünglichen Zustand.
Das hat mich sofort an das Thema Assemblage erinnert, für mich das faszinierendste am Champagner überhaupt und was Champagner am meisten von anderen Weinen unterscheidet. Die Geschichte der Champagne ist überhaupt eine Geschichte, wie man aus einem schwierigen, nicht perfekten Zustand (zu kalt, zu nass), etwas entwickelt, das einzigartig ist.
Wurden ursprünglich Reserveweine in erster Linie dafür zurückgehalten um eine schlechtere Qualität in schwierigen Jahren auszugleichen, wandelte sich irgendwann deren Bestimmung: Statt die Kunst hauptsächlich darin zu sehen, Champagner so zu assemblieren dass er jedes Jahr gleich, oder zumindest ähnlich schmeckt, kann sich ein Winzer auch Jahr für Jahr in seiner „Bubbliothek“ an Grundweinen dazu inspirieren lassen, etwas neues, einzigartiges zu schaffen (ohne seinen charakeristische Stilistik zu verlieren, den rote Faden - die große Vision bleibt).
Aber zurück zu Kintsugi!
In einem vielstufigen Prozess werden auseinandergebrochene Keramiken repariert. Der japanische Lack urushi wird in mehreren Schichten aufgetragen, mit goldenen oder silbernen Pigmenten bestäubt und anschließend poliert.
Das Besondere an Kintsugi ist, dass die Aufmerksamkeit nicht von den Brüchen weggelenkt, sondern diese sogar noch betont werden. So wird gerade das, was nicht der Norm entspricht zu etwas einzigartigem, kostbaren.
Es wird eine neue Schönheit und Wertschätzung des ursprünglichen Objekts erreicht. Und hier wandelt sich das Kunsthandwerk zur Lebensphilosophie, wobei man beides sogar vereinen kann: Wichtiger als die physische Erscheinung des reparierten Objekts und der Vergleich von
Vorher zu Nachher, ist die Schönheit und die Bedeutung, die der Betrachter selbst durch das Objekt erfährt und dadurch, dass er sich diesem mit Hingabe gewidmet hat.
Die Kintsugi Perspektive soll auch bei Krisen helfen: Zunächst geht es um Akzeptanz, den Widerstand gegen das was ist, aufzugeben. Fließt die Energie nicht mehr in den Widerstand, können sich neue, kreative Kräfte formieren, welche es zulassen die Situation neu zu bewerten. Daneben benötigt es Achtsamkeit und Mitgefühl um aus dem Jetzt Zustand etwas Neues aufzubauen. Die gekitteten Stellen symbolisieren auch die Verbundenheit mit dem Leben und anderen Menschen.
Andrea Löhndorf: „Kintsugi schlägt eine Perspektive vor, wie man mit dem Material seines Lebens so umgehen kann, wie ein Künstler.“
So kann ein individuelles Kunstwerk daraus werden, dessen Wert für einen selbst sichtbar wird, nicht in erster Linie durch die Reaktion/Bestätigung im Außen. Schwierigere Situationen können mit einem geweiteten Blick als eine Phase im großen Ganzen wahrgenommen werden.
Zuversicht kann wachsen, dass man aus dieser Phase gestärkt herauskommen wird, dass das Leben dadurch noch reichhaltiger wird.
Andrea Löhndorf: „Der Bruch bedeutet nicht das Ende sondern ist nur eine Station auf einer bedeutsamen Reise.“
Andrea Löhndorf:
Kintsugi - Die Kunst, schwierige Zeiten in Gold zu verwandeln
Scorpio Verlang, 2020